DER MENSCH - DER FÜHRT #2

August 23, 2019

DER MENSCH - DER FÜHRT #2

Motivation steht an erster Stelle

In meinem Führungskonzept steht Motivation immer an erster Stelle. Freiwilliges und freudiges Kontakthalten steht vor dem Einsatz der Leine. Wir kommen jedoch situativ nicht umhin, gegenüber dem Hund einen Führungsanspruch in dem Sinne zu stellen, dass wir ein Nachfolgen auf unsere Aufforderung hin verlangen (beispielsweise Bei-Fuß-Gehen mit und auch ohne Leine). Dazu müssen wir den Hund entsprechend beeinflussen können. Diese Verhaltensbeeinflussung sollte idealer Weise über einen kommunikativen Abgleich stattfinden, der dem Ausdrucksrepertoire des Hundes nahekommt. Wie wir inzwischen wissen, läuft dieser Abgleich unter Hunden immer binär ab.

Motivation und Reglementierung

Hunde bedienen sich zur gegenseitigen Verhaltensbeeinflussung der Motivation über auffordernde Laute und Verhaltensmuster. Das Reglementieren ihres Gegenübers findet mittels Drohgebärden und, wenn nötig, mittels Drohschnappen und Zubeißen statt. Hunde stehen tendenziell in Konkurrenz zu Sozialpartnern. Sie verstehen es ausgezeichnet, sich präzise abzugrenzen und ihren Vorteil zu wahren. Im schnellen Wechsel zwischen „Das gefällt mir“ oder „Das gefällt mir nicht“ äußern sie ihre Gestimmtheit. Ebenso sollten die Verhaltensmuster des Menschen für den Hund eindeutig sein und Stimmung wie Inhalt entsprechend vermitteln.

Kongruente Signalübermittlung

Jedes Verhalten, das ein Mensch gegenüber einem Hund zeigt, muss für den Hund eindeutig zuzuordnen sein. Es darf nicht willkürlich erscheinen. Wichtig ist, dass der Mensch auf erwünschtes Verhalten durch freundlichen Körperausdruck und hohe Stimme deutlich positiv reagiert, auf unerwünschtes Verhalten umgekehrt mit deutlichem Unmut. Stellt der Hund daraufhin seine Aktion nicht ein, muss energischer, wenn nötig auch „aggressiv“ auf ihn eingewirkt werden. Dabei möchte ich eines klarstellen: Aggression ist nicht gleichbedeutend mit Gewalttätigkeit. Prosoziale Aggression ist ein natürlicher Bestandteil in der Kommunikation unter Hunden. Es gestattet den Sozialpartnern, sich abzugrenzen, Missfallen zu bekunden und Unsicherheit zum Ausdruck zu bringen.

Soziale Übereinkünfte in der Gruppe

Hunde versuchen Gefahren abzuschätzen oder zu meiden, um möglichst keinen Schaden zu nehmen. Sie versuchen, den Sozialpartner zu beeinflussen, beispielsweise um sich abzugrenzen oder um an Ressourcen partizipieren zu können. Nachgeben ist dabei ein äußerst wichtiges Kriterium, so auch im Umgang mit uns Menschen.

Ein Beispiel: Kommt ein Hund in eine Gruppe, wird er immer als Erstes versuchen, jeden der einzelnen Sozialpartner, egal ob Mensch oder Hund, einzuschätzen:

— Wie steht der zu mir?

— Freundlich oder nicht?

— Können wir miteinander auskommen oder gehen wir uns besser aus dem Weg?

— Erkennt er meine Position an?

— Kann ich ihn in seiner Position anerkennen?

Jeder Hund will das Gefühl und die Sicherheit haben, dass er den anderen beeinflussen kann, und er lässt sich auch von diesem beeinflussen. Die wechselseitige Beeinflussbarkeitschafft die Basis dafür, dass Hunde sich rasch zu einer bindungsflexiblen Gruppe zusammenschließen können. Hunde leben diese soziale Kommunikation nicht nur unter ihresgleichen, sondern auch mit den Menschen. Diese gegenseitige Beeinflussbarkeit zwischen Mensch und Hund sollte von Anfang an als soziale Übereinkunft gelebt werden. Hier sind wir Hundebesitzer besonders gefordert, da der Hund die meiste Zeit seines Lebens mit uns und nicht mit Artgenossen verbringt.

Verlust von Selbstwertgefühl

Fehlt bei der Erziehung der Wechsel zwischen motivierender Aufforderung und Reglementieren über Androhung von Strafe bzw. Setzen einer Strafsanktion, können Hunde nicht lernen, mit Androhungen und Drohverhalten richtig umzugehen. Es ist ihnen nicht mehr möglich, ihr Selbstbewusstsein differenziert zum Ausdruck zu bringen. Sie neigen dann entweder zu übertriebener Ängstlichkeit gegenüber Menschen und Artgenossen, oder sie erkennen nicht mehr, dass sie andere verunsichern und ihnen Angst machen, beziehungsweise sie ignorieren es.

Rücksichtslosigkeit und Respektlosigkeit

Gänzlicher Verzicht auf Reglementieren von Hunden führt vielfach dazu, dass diese vermehrt respektlos und damit rücksichtslos gegenüber Menschen und demzufolge auch gegenüber Artgenossen auftreten. Solche Hunde agieren gefühlsroh und ohne Anerkennung von Grenzen. Dieser Mangel findet sich oft als Resultat ganz bestimmter Erziehungskonzepte, die vorgeben, ausschließlich über Motivation zu funktionieren und in denen bereits ein scharf gesprochenes „Nein“ verboten ist. Jedoch ist Reglementierung von sozialem Fehlverhalten nicht nur notwendig, sondern es ist sogar ein fester Bestandteil des Verhaltensrepertoires von Hunden.

Reglementieren ist hündisch

Reglementierung sehen wir bereits bei Welpen, die bei ihrer eigenen Mutter erste Erfahrungen machen, dass bestimmte Verhaltensweisen nicht toleriert werden. Haben Sie schon einmal beobachtet, wie klar eine Mutterhündin ihre Welpen zurechtweist, wenn diese zum Beispiel ihrem Futternapf zu nahe kommen? Auch ältere Hunde signalisieren jüngeren völlig eindeutig, wie sie deren Verhalten einschätzen. Sie agieren und reagieren hierbei unmittelbar, ausgelöst durch Verhaltensmuster und Lautäußerungen.

Verlust sozialer Kompetenz

Pseudoliberale Erziehungsmodelle führen oft zum Verlust der sozialen Kompetenz eines Hundes. Dadurch kommt es nicht nur bei Hundebegegnungen zu großen Problemen. Schlecht erzogene oder besser gesagt verzogene Hunde neigen oft zu problematischen Distanzunterschreitungen. Sie scheinen wie kleine Einzelkämpfer, denen nichts mehr Furcht einflößen kann. Zugleich reagieren Hunde, die wenig Respekt vor Artgenossen und Menschen empfinden, auf Androhung negativer Konsequenzen auch nicht mehr ihrer hündischen Natur entsprechend über einen kommunikativen Abgleich im Rahmen gegenseitiger Einflussnahme. Hunde, die in diesem Bereich Lerndefizite aufweisen und durch Respekt- und Rücksichtslosigkeit auffallen, können jedoch wieder lernen, verschiedenste Situationen realistisch einzuschätzen und entsprechend sozial auf ihr Umfeld zu reagieren.

 

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